Die Preisträgerinnen des Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreises 2019 sind Hannah Brückner aus Deutschland und Rébecca Dautremer aus Frankreich.
Am 27. September 2019 wurde zum siebten Mal der Deutsch-Französische Jugendliteraturpreis in Saarbrücken vergeben. Der Preis wurde durch den Ministerpräsidenten des Saarlandes, Herrn Tobias Hans, und die Generalkonsulin der Republik Frankreich im Saarland, Frau Catherine Robinet, in der diesjährigen Kategorie „Bilderbuch“ in der Staatskanzlei des Saarlandes verliehen.
Hannah Brückner
Mein fantastisches Baumhaus
Jacoby & Stuart | ab 4 Jahre
Mit einem fulminanten Wurf zeigt Hannah Brückner, was Phantasie vermag: Ihr Protagonist, ein kleiner Junge, lässt in seinen Gedanken das triste Treppenhaus zu einem lebendigen Baumhaus werden. Mit Tausenden feinster Pünktchen schafft Brückner ein abenteuerliches Konstrukt mit stark verästelnden Zweigen und unterschiedlichsten Formen von Treppenstufen, in dem es für den Betrachter unglaublich viel zu entdecken gilt. Stets begleitet von einem Kleiber als Suchelement, nähert sich der Junge gedanklich auf jedem Stockwerk seinen Mitbewohnern, bis er ganz oben ist: eindeutig der schönste Platz.
Form follows function, und so richtet Brückner ihre Geschichte konsequent auf ein 2,60 Meter langes Leporello aus, was der Verlag herstellerisch mutig unterstützt hat. Die Rückseite mit dem grauen Treppenhaus lädt Kinder zur Partizipation ein: Der Alltag darf mit Farbe gefüllt werden.
Laudatio | Dr. Stefan Hauck
"Wie zeichnet man eigentlich Düfte?
Vergangene Woche wurde eine Studie veröffentlicht, in der Nutzer von Instagram, YouTube und Facebook zwischen 14 und 32 Jahren zu den Themen Rollenbildern und Gleichberechtigung befragt wurden. Erschreckend dabei sind zwei Ergebnisse: Ein Drittel der befragten Mädchen und Frauen in Deutschland und über die Hälfte der Jungs und Männer finden es in Ordnung, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer. Und, in fast ähnlichen prozentualen Anteilen, dass Hausarbeit immer noch Frauensache ist. Das gibt zu denken. Um überholte Rollenbilder zu hinterfragen, kann man gar nicht früh genug anfangen. Bilderbücher zum Beispiel bieten wunderbare Möglichkeiten, Rollenbilder, Klischees und scheinbare Gesetzmäßigkeiten zu hinterfragen. Ob bei wundersamen Fußballschuhen oder einem Turmbau Vision und Wirklichkeit hart aufeinanderprallen, ob bei einer Zugreise, einem Treppenhausaufstieg oder einer unter Depressionen leidenden Mutter die Bilderbuchmacher noch eine zweite Realitätsebene einziehen oder die Sinnlosigkeit einer Schlacht aufzeigen: Die Bilderbücher regen Kinder unweigerlich zu Fragen an.
Auch die diesjährige Preisträgerin des Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreises bescheidet sich in ihrer Geschichte nicht mit der bloßen Wirklichkeit. Sich für die Menschen in der allernächsten Umgebung zu interessieren, sie überhaupt erst einmal wahrzunehmen, ist das Thema, Anonymität zu durchdringen das Ziel. Das ist Hannah Brückner mit „Mein fantastisches Baumhaus“ überzeugend gelungen.
Der Ort der Geschichte ist ein Mietshaus, wie es in vielen Orten stehen könnte, der Held ein kleiner Junge, der sich auf seinem Weg durchs Treppenhaus nach oben viele Fragen stellt. Die meisten Hausbewohner kennt er nur vom Sehen, aber die Kraft seiner Imagination ist viel stärker, und der Aufstieg im Treppenhaus wird zu einer Reise. Hannah Brückner, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Illustration studiert hat, inszeniert das Sich-Wegträumen als Leporello, von Seite zu Seite wächst die Geschichte nach oben auf der einen Seite die nackte Realität, ein tristes, graues Treppenhaus – das Kinder aber erfahrungsgemäß nach dem Lesen des Bilderbuchs ganz schnell mit Buntstiften verschönern – , auf der anderen Seite eine Wunderwelt. Statt von Stufe zu Stufe erklettert er einen Baum, eine abenteuerliche Konstruktion, die aus Tausenden feinster Pünktchen besteht, die Brückner mit dem Rapidografen gezeichnet hat. Und dieser Baum steckt voller Details; wir sehen im 1. Stock Vorhängeschlösser, Überwachungskameras und mit Glöckchen bespannte Drähte: Ein misstrauischer Mann scheint dort zu wohnen. Düfte durchziehen die 2. Etage: Wie zeichnet man in einem Buch eigentlich Düfte? Brückners Bilderreigen überzeugt, und über winzige Stufen, Treppchen, Leitern geht es immer höher, hinter einer Tür vermutet der Junge nur Tiere, andere Hausbewohner hat er noch nie zu Gesicht bekommen, es gibt nur wenige Anhaltspunkte und Ahnungen, aber seine Fantasie ist stärker, er malt sie sich aus.
Inmitten der Anonymität gibt es aber menschliche Bezugspunkte wie den tolle Geschichten erzählenden Nachbarn im 6. Stock, Lotte und Karl, oder die Spielkameraden im 7. Stock. Der Junge hat ein sensibles Gespür, überlegt, ob er die alleinstehende alte Frau nicht vielleicht einmal besuchen sollte oder was die Leute so umtreibt. Dabei begleitet den Jungen stets ein kleiner Kleiber: Er fühlt sich nie allein. Endpunkt der Kletterreise ist sein Zuhause hoch oben in den Baumkronen, die große Freiheit in luftiger Höhe – klar, dass es hier am schönsten ist.
Danke, liebe Hannah Brückner, dass wir als Betrachter diesen Baum mit all seinen merkwürdigen, teils skurrilen Bewohnern mit erklettern konnten: Sie haben den Blick so geschärft, dass wir mit wacheren Augen durch unsere nächste Umgebung gehen."
Die Jury 2019
Nicola BARDOLA | München
Gilles BUSCOT | Strasbourg
Géraldine ELSCHNER | Heidelberg
Isabelle ENDERLEIN | Berlin
Germaine GOETZINGER | Luxemburg
Alfred GULDEN | Saarlouis, München
Dr. Stefan HAUCK | Frankfurt
Charlotte LARAT | Strasbourg
Mathilde LÉVÊQUE | Paris
Alexandra RAK | Frankfurt
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Rébecca Dautremer
Les Riches Heures de Jacominus Gainsborough
Éditions Sarbacane | ab 5 Jahre
Er ist klein, Jacominus, winzig klein in dieser großen weiten Welt! Sein Leben wird hier erzählt, von seiner Geburt bis zu seinem letzten Atemzug – das mutige Leben eines kleinen Kaninchens, zerbrechlich und träumerisch, in seinen glücklichen und unglücklichen, liebevollen und traurigen Stunden. Auf jeder zweiten Doppelseite, mit weißem Hintergrund, füllt er als einmaliges Individuum den Raum und verschmilzt dann wieder mit den großartigen Fresken voller Details und Figuren seiner Umwelt. Es ist schwer, dort seinen Platz zu finden, so klein wie er ist, mit dieser verletzten Pfote, die seit einem bösen Sturz sein Leben verlangsamt. Aber Schritt für Schritt geht er voran, bescheiden und tapfer, gestützt auf seine Krücke und von der Liebe, die er in sich trägt. Unter dem fabelhaften Pinselstrich von Rébecca Dautremer, eine der großen französischen Illustratorinnen, werden die Emotionen von Jacominus sichtbar. Mit jedem Umblättern folgen wir seinen Wegen, seinen Träumen, seinen Hoffnungen, seinen Ängsten, seiner Liebe. Wunderschöne Seiten voller Charaktere und Details für ein Leben, ein langes Leben, einfach, aber tapfer und erfüllt, wie er selbst sagt unter seinem blühenden Mandelbaum. Ein Leben, das er geliebt hat und das uns berührt, mit seinen 3.124.094.780 Erinnerungen, die wir nicht so schnell vergessen werden – ob jung oder alt.
Panégyrique | Isabelle Enderlein
« S’étonner de chaque vie. Est-ce cela, la compassion ? » s’interrogeait Elias Canetti dans « Le cœur secret de l’horloge ».
Si, par compassion, on n’entend pas une pitié autocentrée, mais bien cet élan du cœur qui s’approprie l’éventail complet des émotions d’autrui, alors oui, assurément. Car de tout petit-petit à tout-à fait vieux, chaque être vit « une vie vaillante et bien remplie », qui vaut la peine d’être vécue et racontée pour tous ses moments doux, ses petites joies et ses grandes douleurs.
C’est ce que prouve avec une force bouleversante le lauréat français du prix franco-allemand de la littérature jeunesse 2019 :
« Les riches heures de Jacominus Gainsborough »,
Raconté et illustré par Rébecca Dautremer,
Publié chez Sarbacane.
Il est si petit, ce lapin qui naît sous la plume et le pinceau de Rébecca Dautremer. Si petit et si fragile, ce dernier-né de la famille Gainsborough, perdu dans l’infinité du monde comme dans cette immense page blanche où il se love. Son cœur frémit d’émotion, soulevant les mailles déjà distendues de ce gilet vert dont il ne se départira plus.
On ne l’imagine jamais quitter ce couffin stationné dans un square, entouré des mille et une attentions de sa famille, balancé au gré du vent d’automne qui fait virevolter les feuilles mortes alentour.
Pourtant, Jacominus va traverser les années au rythme des saisons, armé d’une patte folle, résultat d’une mauvaise chute, et de cette profonde mélancolie qui n’appartient qu’à lui. Son âme est un paysage choisi que vont charmant paquebots vers la lune, chevaliers noirs et philosophie. Il est un peu hors du monde, et pourtant complètement dans la vie. Tantôt un peu à l’écart, tantôt parmi ses amis, il attend son heure, rêve de sa Douce, se laisse griser par les rencontres et grandir par les voyages.
Il devient adulte. Puis la mort et l’amour le rattrapent. Sa Granny bien aimée l’invite à son enterrement, tandis que Douce lui donne trois enfants. La frénésie des rues pluvieuses de Londres sonne le crépuscule de la jeunesse et l’ère cacophonique du train-train paternel.
Et puis vient la force de l’âge, celle que l’on atteint au sommet de la montagne. Là où la finitude des choses devient sérénité, et où, le regard perdu dans le lointain, on prend conscience que le plus important, c’est d’ « entendre encore un peu le souffle du vent dans les arbres du parc », tout en sachant que la mort, un jour, viendra nous cueillir sous les fleurs de l’amandier.
Il est, dans cet album hors du commun, des moments de magie pure où les différentes valeurs du temps se mêlent inextricablement : le temps qui passe, celui qui se dilate, celui qui se fait cycle, ou bien encore celui où l’on touche la grâce quasi épiphanique de ce qu’Émile Verhaeren appelle « La bonne heure », « [celle] où la lampe s'allume/Tout est si calme et consolant, ce soir/Et le silence est tel, que l'on entendrait choir/Des plumes ». Ce qui fait le lien entre eux, ce sont ces pêle-mêle d’instantanés, témoins tout à la fois de l’éphémère et du retour du même, de la mémoire et de l’oubli.
« Un poème est une grappe d’images », selon les mots de Gaston Bachelard. Le philosophe n’avait vraisemblablement pas en tête les albums pour enfants quand il a écrit cette phrase. Pourtant, on ne saurait mieux appréhender la manière dont, dans ce « Jacominus », la poésie fait éclore d’incessants jeux de miroir entre la sensibilité des mots et la puissance évocatrice des illustrations.
Ces « riches heures », qui deviennent le lieu poétique par excellence, c’est la somme de ces petits riens, l’ensemble de ces infimes fragilités qui font l’épaisseur d’une vie. Ces riches heures, ce sont ces somptueuses planches de couleur qui s’en font l’écho pictural, ces espaces éclairés fourmillants de détails qui convoquent tour à tour Bruegel, Félix Vallotton, David Caspar Friedrich – d’autres encore. Et ces riches heures, enfin, ce sont les nôtres, à nous petits et grands lecteurs, qui avons le privilège de tourner ces pages et de les transmettre comme un précieux trésor.
Die Jury 2019
Nicola BARDOLA | München
Gilles BUSCOT | Strasbourg
Géraldine ELSCHNER | Heidelberg
Isabelle ENDERLEIN | Berlin
Germaine GOETZINGER | Luxemburg
Alfred GULDEN | Saarlouis, München
Dr. Stefan HAUCK | Frankfurt
Charlotte LARAT | Strasbourg
Mathilde LÉVÊQUE | Paris
Alexandra RAK | Frankfurt
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